Mittwoch, 10. Dezember 2008

Wenn man dann mal vordringt...

Wenn man sich Stück für Stück mit Chinesen hier anfreundet und diese Freundschaft dann auch pflegt, kommt man mitunter in den Genuss gewisser Informationen über Veranstaltungen und Ereignisse in und um die Uni herum, die einem als Ausländer eher verborgen bleiben...

Letzten Sonntag gab es einen von der Uni veranstalteten Gesangswettbewerb, von dem mir ein Freund, den ich in einem Physik-Kurs kennen gelernt habe, erzählte. Dieser beinhaltete, dass die Studenten jeder eher technisch orientierten Fakultät - 12 an der Zahl - sich ca 2 Wochen lang vor dem Ereignis fast jeden Nachmittag in Chören zusammenfanden und zwei Lieder einstudierten. Insgesamt nahmen also 12 Chöre plus einen Lehrerchor und plus einen professionellen Chor, der vorrangig aus Studenten, die zu nationalen Minderheiten gezählt werden, teil. Mitunter waren dies dann Chöre, die aus bis zu über 100 Männern und Frauen bestanden. Das Ganze war eine Veranstaltung, bei der sich mir die Kinnlade herunterklappte, ob dessen, was ich da sah und hörte. Und ich hab natürlich meine Kamera vergessen...

Das Spektakel fand in dem hiesigen überdachten Sportstadion statt, das leider trotz der inzwischen eisigen Temperaturen von -5°C nicht geheizt war. In der Mitte war eine riesige Bühne und rechts und links von dieser jeweils ein 3x5 Meter großer Bildschirm aufgebaut. Die Bühne war nicht einfach nur eine Bühne, sondern eine Aussage: Der Hintergrund war eine Kollage aus Bildern der neuesten Bauten (Pearl Tower, das "Nest", das Aquatic Centre und andere, eher alte Bauten) und einer überdimensionalen chinesischen Flagge. Die Eröffnung des Wettbewerbs hat mich dazu veranlasst mich fast selbst dafür zu ohrfeigen, dass ich meine Kamera nicht mit hatte: Zu ohrenbetäubend lauter, heroischer und überaus emotionaler Musik lief ein ca 4-minütiges Video über die Bildschirme, dass einen kurzen historischen Abriss über die letzten 65 Jahre lieferte. Es begann mit Kämpfen (wahrscheinlich aus Zeiten des Zweiten Japanischen Krieges oder den Zeiten der Kämpfe mit den Kuomintang), ging dann über zur Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao Zedong 1949, dann ein kleiner historischer, ja eigentlich unbedeutender Sprung von 30 Jahren (eben mal fix die Zeit des Großen Sprungs nach vorn ausgelassen) ins Jahr 1978 (Politik der Öffnung), dann hier und da einzelne Ereignisse, die ich nicht einordnen konnte, Raketenstarts, dann natürlich der erste eigenständig von China durchgeführte bemannte Raumflug und natürlich die Olympischen Spiele. Und alles das zu bereits erwähntem Krach, damit auch ja keiner wegdöst und nicht hinguckt, welche großartigen Errungenschaften in den letzten 30 Jahren verzeichnet werden konnten. Daraufhin standen alle auf und die Nationalhymne wurde gesungen. Damit war die Eröffnung aber noch nicht vorbei! Die zwei Damen und zwei Herren, die die Moderation übernahmen, verlasen noch einmal verschiedene Eckpunkte der letzten dreißig Jahre und was sich nicht alles in dieser Zeit an der Tsinghua University abgespielt hat und begrüßten am Ende die Jury, die aus Professoren der Uni bestand.

Und dann ging es endlich los! Und wie es los ging! Sehr homogen und gesittet. Die Auf- und Abgänge der Chöre waren offensichtlich vorher geübt worden, alles lief sehr geordnet ab, fast wie bei der Armee. Bis auf einen Chor waren die Männer immer in schwarz-weiß und die Frauen entweder in rot oder in blau gekleidet. Die Lieder handelten von ihrer liebe zum geliebten China, von unseren Helden den Soldaten, oder vom Gelben Fluss. Zwei Lieder standen ganz besonders hoch im Kurs und ich durfte sie jeweils fünf und vier Mal hören...Zwischen den zwei Liedern eines jeden Chors lief zum Teil noch einmal ein Video - entweder über die vielen Freiwilligen, die sich bei den Olympischen Spielen engagierten, oder auch über die Soldaten, die so viel Opfer des verheerenden Erdbebens in Sichuan im Mai dieses Jahres gerettet haben. Zum Teil hatten die Chöre auch gewisse Choreographien einstudiert - ein wenig schunkeln, Arme in die Luft strecken oder eben am Ende des Liedes kleine chinesische Fähnchen in Luft strecken. Zum Ende gab es noch eine Siegerehrung und Urkunden für die Gewinner.

Das Ganze war eine Mischung aus Propaganda, Patriotismus und so dermaßen ideell geschwängert, das ich dachte, ich lebe ein Buch...Und die Studenten machen das alle mit und finden das eben normal. Sie würden wahrscheinlich, wenn sie im "Westen" unterwegs wären, genauso bedeppert gucken, wie ich, aber es war einfach spannend, so etwas einmal life zu sehen. Parteipolitik ganz nah. Faszinierend.

Dazu kommen dann noch solche Geschichten, dass den Studenten im Grundstudium (vier Jahre) abends 23.30 Uhr der Strom abgestellt wird, dass Studenten im ersten Jahr keinen Computer haben dürfen und dass sich, wie es scheint, am letzten Sonntag schon der zweite Student innerhalb eines Semesters vom Haus gestürzt hat. Begründung: der Druck war zu hoch. Recht einfache Erklärung und, wie ich finde, nicht ausreichend. Wiederum bietet diese Uni den Studenten hier die besten Ausbildungsmöglichkeiten im Land und die besten Chancen auf eine steile Karriere - Parteimitgliedschaft vorausgesetzt. Eben jener Physikerfreund hat mir erzählt, nachdem ich ihn daraufhin angesprochen habe, ob es bald schneien wird, dass er hoffe, das dies nicht so bald geschehen wird, da er dann Schnee schieben muss. Da habe ich ihn ganz verdaddert angeschaut und gefragt, ob alle Studenten Schnee schieben müssen - nein, nur die, die in der Partei sind...Und somit eröffnet sich mir ein neues, unglaublich spannendes Feld! Und sein Interesse daran, was ich denn davon halte, dass Sarkozy sich mit dem Dalai Lama trifft, ist natürlich auch nicht gering.

Und damit sei es genug für heute.

Liebe Grüße vom Franz

Aus Beijing.

5 Kommentare:

Frau T. hat gesagt…

Wie konntest Du nur Deine Kamera vergessen? Hoffentlich war Dir das eine Lehre obwohl eigentlich davon auszugehen ist, dass Du derlei Dinge noch öfter erleben wirst.

Dass das Studium wohl sehr straff organsiert sein soll, ist mir auch schon öfter zu Ohren gekommen.

Aber, und das finde ich eben schade, es sei wohl in China üblich, Plagiate abzugeben. Ich habe zwar keine empirischen Beweise, aber die Erfahrung gemacht, dass in einem Kurs an der Uni zwei von zwei Chinesinnen Plagiate als ihr eigenes Werk verkaufen wollten. Durch den Ausländerbonus hat der Dozent von einer 5,0 abgesehen. Sie begründeten das damit, dass es - ähnlich wie bei den zahlreichen anderen in China produzierten Plagiaten von Produkten - anscheinend nicht so ein Gefühl für das Recht am eigenen Werk gibt. Ein Kommi von mir, der in Australien studiert hat, berichtete Ähnliches aus Australien, wo wohl viele Chinesen zum Studieren hingehen. Mich würde mal interessieren, was Dein chinesischer Physikerfreund dazu sagt. Ob das Zufall war, blödes Vorurteil oder die Wahrheit und wenn ja, warum es sich dahin entwickelt hat. Bleibt den Chinesen, ob des toughen Studiums, einfach nichts anderes übrig?

Dunkle Grüße aus Berlin.

Anonym hat gesagt…

Gabs denn auch Leute, die das ganze Tamm-Tamm etwas übertrieben oder albern fanden? À la: Ja, ja, die Partei. Zynismus hat einem zu DDR-Zeiten sicherlich auch über den einen oder anderen Tag gebracht. Oder hattest du den Eindruck, dass die alle das Programm gefressen haben?

Das würde mich mal interessieren.

Gruß ausm noch-geradeso-kapitalistischen Feindesland.

Der Franz hat gesagt…

Moinsen, also das mit den Plagiaten kann ich dir aus dem Stehgreif natürlich nicht ohne weiteres beantworten. Aber bis jetzt habe ich das Gefühl, dass es zumindest in der Physik ähnlich wie in Deutschland läuft - die Aufgaben werden gemacht und was man nicht kann, schreibt man vom Nachbarn ab...In diesem Astophysikseminar müssen die angehenden Wissenschaftler immer mal wieder präsentieren, was sie in der letzten Zeit so produziert haben. Das klingt auch nicht geklaut, sondern selbst gemacht.

@ John

Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Studenten das Ganze belächeln, sondern eher über sich ergehen lassen und es ganz normal finden. Es gehört eben zum Alltag dazu - genauso wie die Kameras in der ganzen Stadt, die Propaganda in der U-Bahn, Maos Bild auf dem Tiananmen, der fehlende Strom im Grundstudium. Sie sind schon eher davon überzeugt, dass es richtig ist, bzw sehen keinen unbedingten Grund, dass da etwas zu kritisieren wäre. Also was heißt sie - zumindest kommt keinerlei solcher Kritik von meinem Phaysikerkumpel.

Anonym hat gesagt…

Kannst du nicht auch mal Schnee schieben? Wenn du schon deutsche Steuergelder in Glühwein investierst, kannste dafür doch auch arbeiten?! :D

Anonym hat gesagt…

Hi, is spät, aber Reinkes Kommentar fand ich wertvoll.
Lüdde